flashs

Toronto, am 29. Juli 2002

Mittlerweile sind wir am letzten Juli-Tag des Jahres 2002 angelangt.  Es ist 17.15 Uhr. Ich stehe auf dem internationalen Flughafen von Toronto, hundemüde. Der Flug 872 der Air Kanada nach Frankfurt wird aufgerufen. Mein Flug. Ich steige ein. Allein, denn alle anderen sind – bis auf die Verlängerungs-Wöchler – schon in 6 Flügen in den zwei Vortagen nach Deutschland zurück geflogen, 400 junge Leute, alles Teilnehmer an den Weltjugendtagen in Toronto.

Ein Fensterplatz war noch drin. Ein Platz am Notausgang wäre mir lieber gewesen – meinem langsam abklingenden Hexenschuss hätte Beinfreiheit mehr als  gut getan. Aber die Maschine ist mal wieder hoffnungslos überbucht. Ich bin froh, noch mitzukommen. Draußen strahlt noch die Sonne. Sie lässt die Temperaturen der vergangenen Tage von z.T. über 40 ° Celsius nochmals in mir wach werden. Die Nacht wird kurz werden, denn die 6 Stunden Zeitverschiebung zwischen Paderborn und Toronto werden den berühmten Jet-lack begünstigen.

Wie oft bin ich in den vergangenen Wochen hier am Flughafen gewesen und habe Gruppen abgeholt. Einige Gesichter des Flughafenpersonals kenne ich bereits, sie grüßen, wenn wir uns sehen. Die letzten Tage des „geordneten Rückzugs“ waren nochmals eine echte Herausforderung, Denn die berühmten kultigen gelben kanadischen Schulbusse von „Coach Canada“, waren in den Tagen des Weltjugendfestes nicht größer geworden. Es galt weiterhin: Bis höchstens 30 Personen einschließlich Gepäck sind transportierbar. Uns fehlte fast pro Gruppe ein Bus. Dann war uns vom Himmel noch ein LKW samt Fahrer zugefallen. Für 500 Kanadische Dollar fuhr er jetzt mal für mal mit den Bussen und brachte das Gepäck zum Flughafen. Ein exaktes sauberes Timing hatte uns geholfen, auch die letzen beiden Tage, die wir mit den jungen Leuten in der Parish-hall von  St. Pattrick in der Downtown von Toronto verlebt hatten, gut abzuwickeln. Die Kolpingbrüder von Toronto hatten sich für uns stark gemacht und hatten rund um die Uhr Personal gestellt, damit die Räume immer bewacht waren. Was wir zu zahlen hätten, fragten wir. „Nothing, that’s our problem!“ Trotz heftiger Angebote, ihnen etwas für die Halle zugeben, blieben sie gastfreundlich hart und übernahmen die Kosten für die Überhangtage. Die Gastfreundschaft der Kanadier blieb ihre aller größte Stärke und Auszeichnung.

Die meisten Rückfüge begleitete ich noch mit dem Van, um überzählige Pilger an den Flughafen zu bringen. Immer wieder die Frage: Was bleibt euch von diesen Tagen? „Die Gastfreundschaft! So etwas haben wir noch nicht erlebt!“ war immer und immer wieder einhellige Meinung. Und was noch? - Der Geist der Weltjugendtage. Jugendliche so vieler Nationen in dem einen Geist vereint. So viele Sprachen und doch auf dem gleichen Weg unterwegs.

Und dann die Freude im Downsview-Park bei der Abschlussveranstaltung mit dem Papst. Kraftvoll und nah am Herzen der jungen Leute hatten sie ihn erlebt. „Die Texte wollen wir auf jeden Fall lesen! Der ist ja echt auf uns eingegangen.“ Und dann immer wieder ein Danke, „dass Ihr das alles vorbereitet habt. Wir haben ja mitgekriegt, dass die Organisation vom kanadischen Weltjugendtagsteam häufig ins Schleudern kam.“ Aber all diese Kritikpunkte kamen erst gegen Ende der Bewertungen.

„Wir müssen uns anstrengen!“ brachte es einer der jungen Teilnehmer auf den Punkt. Und beim genaueren Nachfragen focusierte er die Gastfreundschaft der Familien und Pfarreien: „Ob wir Deutschen das auch so hinkriegen, die Jugendlichen der Welt sich sofort so zu Hause fühlen zu lassen bei uns?“ Und dann klangen die vielen Schritte der Familien an. Einige unserer Teilnehmer waren nach dem offiziellen Programm in Toronto nachmals nach Niagara Falls zu ihren Gastfamilien gefahren. Sie hatten sie eingeladen. Anderen war von ihren Gastfamilien noch ein Programm organisiert worden, so dass einzelne noch in die Naturparks von Kanada kamen. Wieder andere waren nach Toronto gekommen, um nochmals ein paar Stunden mit ihren neuen internationalen Freunden zusammen sein zu können. Ich staunte über all die spürbare Liebe, die mit Händen zu greifen war.

Mein Geist wurde schläfriger. Die Maschine war bereits abgehoben mit dem Zielpunkt: Europa. Mir kamen nur noch flashs der vergangenen Tage in den Sinn, die ich betend  vor Gott brachte. Ich dachte an unseren verstorbenen Erzbischof und an das Gebet, dass wir morgens mit allen für ihn gehalten hatten. Große Bestürzung, Betroffenheit und Trauer hatte uns erfasst. Ich dachte an meine letzte Begegnung mit ihm. Sie war in einer solchen Freude abgelaufen, die sich mir tief eingegraben hatte. Er hatte mich gebeten, noch bis zum Jahr 2005/2006 in Hardehausen zu bleiben und das Weltjugendfest in Köln mit vorzubereiten. Das war jetzt wie ein Vermächtnis für mich. Ich dachte an die kleine Gruppe aus Sarajevo, die mit uns geflogen war und die so dankbar für die gemachten Erfahrung waren. Bei einem Kaffee hatten wir in den letzten Tagen  alle Erfahrungen ausgetauscht und nach neuen Impulsen für die Jugendlichen in Sarajevo Ausschau gehalten. Ich dachte an die vielen Helferteams in den Schulen, die uns immer wieder gesagt hatten: „Es ist eine Freude für uns, euch beherbergen zu dürfen!“ Der Rektor unserer Schule hatte bei einem kleinen Dankeschön-meeting Tränen in den Augen als er zu uns sprach. Ich dachte an den Regen, der im Donws-view-Park morgens um 6 Uhr orkanartig eingesetzt und uns alle durchnässt hatte. Der Papst schaffte sofort die Brücke und sagte: „Dieser heftige Regen hat uns alle heute morgen schon an unserer Taufe erinnert.“ Und ich dachte an unser Leitungsteam und die vielen Koordinatoren, die sich so sehr gemüht hatten, dass diese Weltjugendtage wirklich zu einem Fest werden konnten. Und ich dachte an die Herausforderungen, die jetzt mit Köln 2005 vor uns standen – aber vor allem auch an die große Chance, die für die Jugendpastoral unserer Bistümer in diesem Mega-meeting liegt.

Ich spürte eine große Freude und Zufriedenheit in meinem Herzen. In wenigen Stunden würde ich wieder aufwachen und in Europa sein. Aber bevor ich einschlief kam mir nochmals das Gesicht Erzbischof Degenhardts vor Augen. Vor allem sah ich das Leuchten seiner Augen in unserer letzen Begegnung als ich ihm von den Weltjugendtagen in Toronto erzählt hatte. „Ich bin mit dabei – im Gebet!“ hatte er mir gesagt. Und dann hatte er mir noch einen Druck eines alten Evangeliars geschenkt. Zu lesen war dort: „Geht hinaus in alle Welt und verkündet das Evangelium.“ Ich war hier mitten in der Welt. Mit dem Evangelium in der Tasche und im Herzen. In diesen Augenblicken hoch oben über dem Atlantik war mir mal wieder, als liefen Fäden zusammen. Ich erzählte all meine Gedanken, und Wünsche Erzbischof Degenhardt, den ich jetzt schon im Himmel zu Hause wissen durfte. Eine Träne kam mir. Draußen dämmerte es langsam. Das Farbspiel des erwachenden Morgens vollzog sich vor meinen Augen. Ich verstand: Zu den Enden der Erde gesandt sollten wir – so hatte es der Papst immer wieder gesagt - die „Wächter des neuen Morgens“ am Beginn dieses dritten Jahrtausends sein.

 

 

 

 

 

Gastfreundschaft


Tritt durch den Spalt,

atme de Ordnung,

lerne am Herd

die Würdes des Gastes

und empfang

in der Fülle der Gaben

deren königliche:

anvertrautes Leid.

                    Klaus Hemmerle