"go4peace"- Zeichen des Friedens in unserer Stadt

go4peace!


 - “geh für den Frieden!”

 

Mai 2009

 

“So, ich zieh jetzt weiter, muss heut’ noch nach Beckum!” höre ich Paul, einen Bruder der Landstrasse, an unserer Haustür sagen. Er war am vergangenen Samstag mitten in den Vorbereitungen zur Menschenkette und dem abschließenden Fest auf einmal aufgetaucht. Abends stand er dann mit weit über 1500 Menschen in der Friedenskette rund um Kamen.

Nun ist es Montagmorgen. Den kleinen Friedensmahner hält er strahlend in der Hand. “Den nehm’ ich auf jeden Fall mit, denn Eure Sache hier mit dem Frieden, die find ich echt cool. Hab ich bei Euch gespürt!” Ich hole für ihn und einen zweiten Kumpel, den er heut morgen mitgebracht hat, ein paar Euro aus meiner Wohnung. Als ich zur Haustür zurück komme schlägt der erste dem zweiten auf die Schulter. “Bruder”, entgegne ich ihm, “das passt aber nicht, erst vom Frieden reden und dann wieder Tritte verteilen. Du weißt doch, es ging um go4peace, geh für den Frieden!” Wir lachen und scherzen noch ein wenig, dann ziehen die beiden weiter, sogar mit unserem letzten t-shirt auf denen zu lesen ist: go4peace, Lieben - immer - alle - als erster - jeden wie mich selbst! “So’n t-shirt zu haben, das ist ein echter Traum für mich!” hatte er mir am Samstag gesagt. Gut, dass wir noch einen solchen “Traum” übrig behalten hatten. Nun drück ich ihm das letzte in die Hand. Strahlend zieht er weiter, ein Nomade unserer Tage.


sich  wandelnde Zeiten
“Der Christ der Zukunft wird ein Konvertit und ein Nomade sein”, lehrt uns die moderne Religionssoziologie. Mobilität und Flexibilität - zwei Grund-Maxime unseres alltäglichen Lebens. Immer neu gilt es zu konvertieren, sich hinzuwenden zu neuen Herausforderungen (Konvertiten-Dasein) und immer neu gilt es, Aufbruch zu wagen (Nomaden-Dasein). Und das gilt für all unsere Lebensbereiche, obwohl wir doch so gern im Gewohnten, Sicherheit Gebenden blieben!. Der Tante-Emma-Laden an der Ecke existiert nicht mehr. Es galt die Herausforderung zu stemmen, den Alltagsbedarf neu zu organisieren. Umdenken und Aufbrechen! Wie viele Postfilialen sind geschlossen worden. Es galt die briefliche Kommunikation neu zu organisieren. Umdenken und Aufbrechen! Viele Vereine und Gruppierungen aus dem gesellschaftlichen, politischen und kirchlichen Bereich klagen über den Verlust von Mitgliedern und über fehlende jugendliche Interessenten. Auch hier weht der “wind of change” (Geist der Erneuerung), Umdenken und Aufbrechen!

Auch als Kirche, als die wir mitten in der Welt leben und von Jesus her für die Welt beauftragt sind, stehen wir in solch - oft schmerzlichen - Veränderungsprozessen. Was wir bei Jubiläen noch gern mit Inbrunst singen “Ein Haus voll Glorie schauet, weit über alle Land...” scheint mit unserer Alltagserfahrung nur noch sehr begrenzt überein zu stimmen. Gut, dass Strophe 4 und 5 des gleichen Liedes zur Bewegung einladen. “Seht Gottes Zelt auf Erden, verborgen ist er da...” Das Symbol des Zeltes spricht vom Provisorium und vom Experimentellen, vom Los-lassen-Müssen und vom Aufbrechen-Müssen. “Sein wandernd Volk will leiten, der Herr in dieser Zeit, er hält am Ziel der Zeiten, dort ihm sein Haus bereit!” Damit ist uns Konvertiten und Nomaden Heimat verheißen, aber eben nicht im festen Haus auf Erden - auch nicht in der Kirche, sondern am Ziel der Zeiten.


 



72-Stunden-Aktion
Wir haben  in unserem Pastoral-Verbund Kamen-Kaiserau im Rahmen der 72-Stunden-Aktion des BDKJ mit interessierten FirmbewerberInnen aus unserer Stadt Umdenken und Aufbruch gewagt. Leitstern war - mitten in der Osterzeit - der von dem auferstandenen Jesus seinen Freundinnen und Freunden immer neu zugesagte Gruß: “Friede sei mit Euch!” Für diesen Frieden, der nur aktiv gelebt sein kann, wollten wir in unserer Stadt einstehen. Schnell fand sich eine Gruppe von 10 jungen Leuten im Alter zwischen 17 - 23 Jahren, die sich für ein Friedensprojekt in ihrer Stadt begeistern ließen. “Go4peace” - sollte die am Evangelium orientierte Marke sein, denn Jesus hatte zu seinen Lebzeiten gezeigt, wie Frieden geht. In vier Schritten, so versprachen wir uns in dem go4peace-Leitungsteam, wollten wir selber den Frieden praktizieren. So galt es, ALLE zu lieben, eben keinen auszuschließen. Es galt IMMER zu lieben und nie auf den anderen zu warten, sondern als ERSTER zu lieben. Und Maßstab dieser Liebe sollte immer das “WIE MICH SELBST” sein.

Erstaunt waren wir, zu erfahren, dass in unserer Stadt Menschen aus 88 Nationen leben, sie alle wollten wir besuchen und in ihnen den Bruder und die Schwester entdecken. Und dann als Höhepunkt sollte eine Menschenkette aus all diesen Nationen rund um Kamen gestellt werden, die alle friedlich miteinander verband. Ein hohes Ziel war gesetzt, zu dem sich die Leitungs-Crew insgesamt 10 Mal sonntagsnachmittags für 4-5 Stunden traf. Ort dieser Treffen war ein provisorisch eingerichtetes Ladenlokal in der Weststrasse 54.


Friedensmahner
Würden die Firmbewerber im Alter von 15-17 Jahren anbeißen und sich für einen solchen Weg bewegen lassen? 48 von ihnen entschieden sich: Für uns gilt go4peace! Wir machen mit! Und so starteten wir am 07. Mai. um 17.07 Uhr, vor dem Pfarrhaus am Kirchplatz 7 einen großen Mahner zu enthüllen, der in türkischer, bosnischer, englischer und deutscher Sprache jeden Vorbeikommenden  einlädt, selber Friedens-Träger zu sein. Im Anschluss an diese Enthüllung, die Bürgermeister Hupe vornahm, machten sich 6 Gruppen von Jugendlichen - begleitet von erwachsenen HelferInnen - auf den Weg, um an 6 symbolträchtigen Orten ebenfalls die Erinnerung an das je eigene Friedensengagement hochzuhalten. Die Mahner stehen vor der Sportschule Kamen-Kaiserau, vor dem Rathaus und dem Asylantenwohnheim am Mausegatt, vor dem TSC-Vereinshaus und der Moschee in der Grimmstrasse und vor der Luther-Kirche mitten in der Fußgängerzone. Eine siebte Gruppe fertigt vor dem Pfarrhaus zahlreiche kleine Friedensmahner, die wir in den kommenden Tagen verschenken werden.


Besuche bei Menschen mit Migrationshintergrund
Am Freitag und Samstag ging es darum, ein weitläufiges, lebendiges Friedensnetz entstehen zu lassen. So machten sich die jungen Friedensträger auf den Weg zu Menschen aus über 50 Nationen, um sie zu Hause zu besuchen. Ebenfalls besucht und interviewt wurden verschiedenste Verantwortungsträger unserer Stadt. Nach jedem Besuch kamen die Jugendlichen zurück ins Ladenlokal, unseren meeting-point. “Boh, so eine Gastfreundschaft hätte ich nicht erlebt!” - “Oh, wie arm der ist und der muss ganz allein immer in nur einem Zimmer leben!” - “So eine Glaubenskraft hab ich noch bei keinem meiner Freunde gefunden. Der ist von Zuhause weggegangen, nur um seinen Glauben leben zu können!” ...
Ungeahnt viel Leben wurde sofort ins Wort gebracht und strahlte aus den Augen der Jugendlichen zurück. Am Ende eines jeden Tages galt dann wieder “Treffpunkt Zeltgebet” - mitten in der Kirche Heilige Familie. Im Dunkel des Zeltes, beim Kerzenschein -  eingepfadet in die lange Geschichte des Volkes Gottes auf dem Weg - erzählten einige Jugendliche nochmals all den anderen von ihren Erfahrungen und dann hielten wir diesen Tag Gott im fürbittenden Gebet hin: für die Familie aus Syrien mit den tauben Kindern - kyrie eleison - für Markus - kyrie eleison - für die Leute, die Angst vor Abschiebung haben - kyrie eleison - für die, die total allein sind in unserer Stadt - kyrie eleison - für unseren Bürgermeister - kyrie eleison...

Menschenkette für den Frieden
Und dann die Menschenkette am 09. Mai abends um 20 Uhr. Würden wir so viele Menschen aus Kamen bewegen  können, sich selber zu bewegen, um dieses Zeichen des Miteinanders zu setzen? Noch 6 Stunden, war auf dem Schaufenster in der Weststrasse 54 zu lesen... noch 3 Stunden,  noch 2... und dann war es so weit. Verantwortungsträger aus Politik, Gesellschaft und Kirche hatten sich bei einem kurzen Empfang noch eingetragen in ein Friedensbuch, in dem sich die Jugendlichen mit ihrer Unterschrift dazu verpflichtet haben, in dieser Stadt für den Frieden zu leben. Und dann standen wir zum Glockengeläut - Hand in Hand rund um die Stadt - schweigend - betend - schauend...

Vor meinem inneren Auge “sah” ich die vielen Jugendlichen, die sich aufgemacht hatte, für den Frieden in dieser Stadt und weit darüber hinaus zu leben, ich “sah” die vielen erwachsenen HelferInnen unserer beiden Gemeinden, die mit ins Rad gegriffen haben und griffen, ich “sah” die vielen Menschen aus der Stadt-Verwaltung, den politischen Parteien, den Gewerkschaften..., die wir hatten kennen lernen können, ich “sah” all die Menschen mit Migrationshintergrund, die wir besucht, kennen und schätzen gelernt haben und ich “sah” diesen Traum Jesu, der kurz vor seinem Tod gebetet hatte: “Vater lass sie eins sein, damit die Welt glaubt!” Ich “sah” einen kurzen Augenblick das Bild einer geeinten Menschheitsfamilie aufleuchten - vereint im Geist des Friedens. Ich “sah” eine Kirche, die nicht im Gewohnten stehen bleibt, sondern die sich mehr und mehr als “Salz der Erde” begreift - berufen, der Welt Geschmack zu geben.

Friedensbringer
“Aber wir haben’s ja nicht geschafft, die Kette zu schließen!” hörte ich einen enttäuschten Jugendlichen. Ja, es gab Straßenbereiche, in denen Lücken blieben. Es gab sie, die hinter den Fenstern sassen, um zuzuschauen. Es gab sie, die in den Autos sassen und nicht für 2 Minuten ausstiegen. Aber es gab die vielen, die durch ihr Da-Sein gesagt haben: Geben wir immer neu unsere Hände für den Frieden. Leben wir das Motto “go4peace”. All denen, die nicht Zuschauer geblieben sind, sondern sich solidarisiert haben, möchten wir vom go4peace-Leitungsteam an dieser Stelle nochmals herzlich DANKE sagen. Für Sie und Euch alle gilt: “Wenn man Frieden will, muss man immer derjenige sein, der zuerst die Hand reicht!” (Yitzhak Rabin) Danke, dass Sie es getan haben! Die Freude derer, die sich im Miteinander solidarisiert haben, war noch lange auf dem internationalen Fest zwischen den Kirchtürmen der Paulus-Kirche und der Heilige Familie-Kirche zu spüren.

Paul, der Bruder der Landstrasse, ist mit seinem t-shirt und dem kleinen Friedensmahner schon wieder auf den Straßen unterwegs - Richtung Beckum - vielleicht haben Sie ihn ja gesehen. Er ist neu aufgebrochen. Konvertit und Nomade. Junge Menschen unseres Pastoral-Verbundes sind ebenfalls neu aufgebrochen. “Aber wir machen doch auf jeden Fall weiter - oder?” fragte mich ein Jugendlicher beim abschließenden Eis in der Innenstadt von Kamen. “Na klar!” war meine Antwort. Bald kommt die nächste Rundmail mit der Einladung zum Zeltgebet für Dich und Deine Kumpels. Lass uns dann darum beten, dass wir so unsere  nächsten Schritte in dieser Stadt  verstehen!” - Seine Antwort: “Logo, ich bin dabei!”

Also: “go4peace!” - “Logo, ich bin dabei!              Meinolf Wacker

Gastfreundschaft


Tritt durch den Spalt,

atme de Ordnung,

lerne am Herd

die Würdes des Gastes

und empfang

in der Fülle der Gaben

deren königliche:

anvertrautes Leid.

                    Klaus Hemmerle