Hauptschüler, GenRosso und die Starkmacher - - Streetlight auf der Bühne der Stadthalle in Kamen

Nach “5 Tagen Kamen” steigt GenRosso wieder in den Bus. Der nächste “Tournee-Ort”: Braunschweig. Am Zaun der Hauptschule in Kamen stehen fast alle der 280 Schülerinnen und Schüler. Begeisternd jubeln sie. Einige weinen. Dahinter - ein wenig versteckter - einige der Lehrer. Auch sie haben Tränen in den Augen. “Ich hätte das nicht für möglich gehalten!” erzählt eine Lehrerin. “Alle unsere Schüler waren in das Projekt involviert und total begeistert dabei. Jeder fand seinen Platz und  - obwohl wir ja nicht nur einfache Kinder haben - ging alles im großen Frieden von statten. Es war wirklich so ein tolles Klima unter uns, wie wir es niemals erwartet hätten!” - “Und die sind alle so nett!” ruft eine andere Lehrerin mit Blick auf die Akteure von GenRosso und den Starkmachern. Morgens im Abschlussgespräch hatte Frank Stewen, der stellvertretende Rektor der Schule, eine Mail vorgelesen, die ein Vater ihm nachts zuvor noch gesandt hatte. Diese Mail - bewegend in ihrem Inhalt - ließ deutlich werden, was in diesen Tagen bei Schülern, Lehreren und Eltern geschehen war. Alle schienen Teil eines großen Ganzen,”part of a vision”.

Damit diese Vision zum Leuchten kommen konnte, hatte sich das Kollegium der Hauptschule sehr gut vorbereitet. Die vorbereitende Organisation war nahezu perfekt. Jeder Schüler wußte am Montagmorgen, in welchen Workshop er gehörte. Das Catering-Team vollbrachte Großartiges. An jeder Tür hingen Orga-Pläne und alle Lehrer spielten eine vorbildliche, unterstützende, sich nicht in den Vordergrund spielende Rolle. Sie bildeten den Rahmen, in dem sich das spielerische Miteinander aller ereignen konnte. In einem langen Flur des Schulgebäudes war in jedem Fenster ein Buchstabe des Musical-Titels angebracht:
S - T - R - E- E - T - L - I - G - H - T
Ein sprechendes Lichtspiel. Das Team der Hauptschule war so vorbereitet, dass die Botschaft der Starkmacher und von GenRosso sich in die Herzen hinein spiegeln konnte - vergänglich und doch für immer sich einprägend.

“Ja, es war wirklich großartig und ich empfinde es als ein großes Wunder,” lese ich in einer anderen Mail -  einer Lehrerin. “Auch hat mich das Ganze sehr nachdenklich gemacht und mich in meinem Glauben an Gott und die Liebe bestärkt. Das tut sehr, sehr gut. Ich werde in zwei Wochen mit meiner Klasse nach Köln zum GenRosso Auftritt fahren. Wahnsinn....mir fehlen wirklich die Worte.”

Auch das kam immer wieder: “Wir haben etwas erlebt, in einer Tiefe, die wir gar nicht ins Wort bringen können!” bringt ein Kollege den Eindruck vieler auf den Punkt. Ein anderer sprach mit Blick auf die Streetlight-Aufführung vom Erlebnis der “Zärtlichkeit göttlicher Liturgie”. Und jeder durfte so sein, wie er und sie ist. “Und ich - als Atheistin”, ruft eine weitere Kollegin in die Mitte, “bin so froh, dass ich noch einmal neben meinem Lieblingskünstler sitzen darf”. Dabei nimmt sie Michele von GenRosso fest in den Arm.

Mir schien in diesen Tagen eine neue Gesellschaft aufzuleuchten, in die die Kirche - wie ein Sauerteig - hineinwirkt, zusammen bringend, ermutigend, bestärkend, heilend, jeden freilassend, einfach ehrlich liebend. Tag für Tag hatten wir in aller Schlichtheit Eucharistie gefeiert, das Geheimnis der Hingabe Jesu an diese Welt. Tag für Tag waren wir einem Motto des Evangeliums gefolgt, dem Motor unseres Lebens und Tag für Tag hatten wir in jedem der Schüler und Lehrer unseren Nächsten gesehen und geliebt. Tag für Tag galt das Versprechen Jesu: “Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen!” ER - verborgen unter allen wirklich Liebenden - hatte das Herz eines jeden angerührt. ER hatte diese Atmosphäre entstehen lassen, in der jeder so sein durfte, wie er ist, sich geliebt und angenommen fühlte, egal ob jung oder alt, ob kritisch oder ermutigend, ob das Leben leicht oder schwerer nehmend. Eine, nicht mehr wie eine feste Burg wirkende, sondern sich wie Salz in die Gesellschaft verlierende und sich in ihr auflösende und ihr Geschmack gebende Kirche, damit alle eins seien, hatten wir erleben dürfen. Dieses Geheimnis war neu vor uns aufgeleuchtet.

Wie in einer kurzen Momentaufnahme zeigte es sich am Mittwochabend der Projektwoche in einer besonderen Verdichtung. Die erste Darbietung des Musicals in der Stadthalle Kamen vor ausverkauftem Haus war mehr als gelungen. Im Anschluss galt allen Trägern - den Starkmachern, GenRosso und dem Lehrerkollegium - noch eine Einladung zum Abendessen ins Gemeindezentrum “Heilige Familie”. Asylanten und Flüchtlinge, die in Kamen wohnen und in ein Netzwerk mit der katholischen Gemeinde dieser Stadt eingewoben sind, hatten ein großartiges Buffet gezaubert. Speisen aus dem Kosovo und Syrien, aus Afghanistan und dem Iran, aus dem Kongo, aus Aserbadschan und aus Deutschland bereicherten das Mahl. Beim Blick in den Saal hatte ich den Eindruck, die EINE MENSCHHEIT schon erleben zu dürfen.

“Ich hoffe, das klingt nicht zu arrogant?!” vertraut mir eine Lehrerin an. Diese Tage haben mich unendlich dankbar gemacht. Ich hab fast ‘gesehen’, was mir meine Eltern in ihrer Erziehung  geschenkt haben. Sie haben es richtig gemacht. Und ich habe es mit meinen Kindern auch richtig gemacht. Ich habe das alles, was ich hier erleben darf, schon früh geschenkt bekommen und ich spüre eine so tiefe Freude in meinem Herzen!” - “In deinem Licht schauen wir das Licht!” kommt mir aus den Psalmen in den Sinn.

“Ich habe so etwas noch nie erlebt.” hatte der oben erwähnte Briefschreiber an das Lehrerkollegium gemailt. “Es war ein wahres Seelenfeuerwerk, das die Schüler und Schülerinnen ausgelöst haben. - Natürlich ist es ein besonderes Erlebnis, die eigene Tochter auf der Bühne zu sehen und sie dort so zu erleben, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.  Aber was alle, ich betone alle, Beteiligten dort vollbracht haben, ist etwas so Besonderes, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Ich verbeuge mich vor der Leistung und dem Engagement, dass so etwas möglich geworden ist! Ganz tief verbeuge ich mich vor den Schülern und Schülerinnen, die gezeigt haben, was man in nur ein paar Tagen auf die Beine stellen kann.
Das war und bleibt eine Leistung, die mich immer daran erinnert, dass es mehr als einen Weg im Leben gibt und das man seine Möglichkeiten nur abfordern muss, um inneren Frieden zu finden. Um nichts anderes geht es schließlich auf dieser Welt!”

“Don’t stop giving!” war das Motto des ersten Tages gewesen. Jeder hatte es auf einer kleinen Karte mitgenommen. Als Tomek, einer der Künstler von GenRosso, in der Abschlussrunde in der Koppelteichhalle von seiner Geschichte erzählte, war klar, dass dieser Lebensstil weiter gelebt werden wollte. “Ich war in einer Gang, hab Reifen zerstochen und in Diskos andere Jugendliche verprügelt. Die kurze Freude, die mir das bereitete, war immer schnell wieder weg. Dann bin ich Jugendlichen begegnet, die aus einer anderen Tiefe heraus froh sein konnten. Sie erzählten mir, sie hätten eine Entdeckung gemacht. Über und hinter allem und jedem stehe ein Vater, der uns unendlich liebt. Diese Entdeckung rufe nach Liebe. Denn nur wer sich liebend schenkt, wird wirklich frei und froh!” Damit wird nun Montag der Alltag an der Hauptschule Kamen wieder einkehren. Es gilt weiter: “Don’t stop giving!”

Charles Moats, der afroamerikanische Jugendliche, von dem das Musical handelt, hatte sein Leben für die EINE Menschheit gegeben. Er hatte gekämpft, dass ein Miteinander zwischen schwarzen und weißen Jugendlichen in seinem Stadtviertel - the hole / das Loch genannt - möglich werden konnte. Dafür hatte er mit seinem Leben bezahlt. Dieses Leben schien mir, als ich dem abfahrenden Bus von GenRosso noch nachschaute, wie ein Weizenkorn in die Erde gefallen zu sein und Frucht getragen zu haben. Denn dieses Leben echter Geschwisterlichkeit unter Menschen verschiedenster Überzeugung war uns in diesen Tagen in Kamen neu geschenkt worden. So bleibt nur eins, nicht zurück zu schauen, sondern weiter zu gehen: “Don’t stop giving!” - “Hör nicht auf zu geben!” Mögen viele in unserer Stadt Tag für Tag auch das letzte Motto in ihrem Herzen halten. “I’ll be there!” - “Ich bin dabei!”
                                                                Meinolf Wacker 18-11-2012


Gastfreundschaft


Tritt durch den Spalt,

atme de Ordnung,

lerne am Herd

die Würdes des Gastes

und empfang

in der Fülle der Gaben

deren königliche:

anvertrautes Leid.

                    Klaus Hemmerle